Form

Differenzen

Die Form, nach der die Musik in UNTEN organisiert und strukturiert ist, folgt bestimmten Regeln und ist dennoch variabel. Zu hören sind sieben computergenerierte, elektronische Stücke mit einer jeweiligen Länge von sieben Minuten. Die Abfolge der Stücke und deren musikalische Abläufe werden nach bestimmten Vorgaben in Echtzeit generiert. Die Reihenfolge der Stücke und deren Aufbau wird mit jeder Wiederholung Differenzen zum Vorhergehenden aufweisen. Ein kompletter Durchlauf mit einer Länge von 49 Minuten kann in Endlosschleife gespielt werden und wird sich dabei nie exakt wiederholen. Die äußere Form ändert sich und bleibt für die Zuhörer dennoch wiedererkennbar, da charakterische Klänge erhalten bleiben.

Das Ziel ist es, musikalische Abläufe über einen langen Zeitraum (zum Beispiel über eine Ausstellungsdauer von mehreren Tagen) so abwechslungsreich zu gestalten, dass das Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Werk selbst nach mehrmaligem Hören bestenfalls erhalten bleibt. Im Gegensatz zu Fixed-Media-Kompositionen, deren Abläufe im Vorfeld exakt definiert werden, wird hier mit der Erwartung des Publikums gespielt. Dabei kommen Zufallsprozesse zum Einsatz, die in unterschiedlicher Weise auf drei Ebenen stattfinden.

Zu Beginn eines Durchlaufes wird zufällig eines der sieben Stücke ausgewählt. Bei der Auswahl des zweiten Stückes, wird das erste Stück nicht wieder berücksichtigt. Dieses Modell der zufälligen Auswahl wird in der Wahrscheinlichkeitstheorie als Urnenmodell bezeichnet, bei dem in diesem Fall ein Element gezogen aber nicht zurückgelegt wird. Jedes Element besitzt die selbe Wahrscheinlichkeit gezogen zu werden wie jedes weitere, noch zur Auswahl stehende Element. Nach einer Ziehung steigt die Chance der übrigen Elemente, ausgewählt zu werden. Bei der Wahl des ersten Stückes beträgt die Wahrscheinlichkeit für jedes Stück etwa 14 Prozent (1/7), dass es gespielt wird. Bei der Wahl des zweiten Stückes etwa 17 Prozent (1/6) und so weiter. Nachdem alle Stücke gespielt wurden, beginnt der Prozess von Neuem. Der Vorteil dieses Modells ist, dass jedes Stück nur einmal innerhalb eines Durchlaufes gespielt werden kann. Das Publikum wird selbst bei längerem oder mehrmaligen Besuch der Installation Unterschiede in der Abfolge der Stücke feststellen können.

Prozesse

Jedes der sieben Stücke hat jeweils einen charakteristischen Grundklang, der sich aus dem Zusammenspiel von bis zu acht selbst entwickelten Software-Instrumenten ergibt. Dabei sind für jedes Instrument verschiedene Presets abrufbar, die den Grundklang des Stückes manipulieren.

Ein Stück nimmt durch die Anzahl der aktiven Instrumente und den ausgewählten Presets einen bestimmten Zustand ein. Dieser Zustand ist abhängig von der Anzahl der auf der Installation befindlichen Personen – mittels eines Sensors wird die aktuelle Anzahl der Besucher an das System übertragen. Begibt sich eine weitere Person auf den Boden oder verlässt eine Person die Installation, löst dies einen neuen Zustand innerhalb des Stückes aus. Der Zufallsprozess, der den musikalischen Aufbau in nicht vorhersehbarer Weise beeinflusst, ist in diesem Fall die Anwesenheit des Publikums.

Befinden sich beispielsweise drei Personen auf der Installation, befindet sich das zweite Stück im Zustand D. Das bedeutet, eine bestimmte Anzahl von aktiven Instrumenten erzeugt mit den ausgewählten Presets eine Variante des Grundklanges. Betritt nun eine weitere Person die Installation, wechselt das Stück in Zustand E und ändert damit die Anzahl der aktiven Instrumente inklusive ihrer Presets nach zuvor festgelegten Werten.
 

In diesem Sinn würden die Zustände in Abhängigkeit der Anzahl der Besucher immer die selben Klangeigenschaften aufweisen. Deshalb werden zusätzlich Varianten von Zuständen erzeugt, indem sich die Anzahl der aktiven Instrumente und die Presets jeweils nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf die im Vorfeld festgelegten Werte ändern. Somit wird ein Wechsel von Zustand D in Zustand E und wieder zurück voraussichtlich zu verschiedenen klanglichen Ergebnissen von Zustand D führen.

Komposition

Das bedeutet für das Arrangieren der Stücke, dass nicht wie im herkömmlichen Sinn unterschiedliche Abschnitte nach einer bestimmten Vorstellung aneinandergereiht werden, sondern verschiedene Möglichkeiten zu berücksichtigen sind, die alle auf ihre Weise funktionieren müssen. Ausgehend von einem Zustand kann ein Stück, je nach dem ob eine Person die Installation betritt oder verlässt, in den nächsten oder in den vorhergehenden Zustand wechseln. Die erste Möglichkeit entwickelt das Stück musikalisch weiter, durch die zweite Möglichkeit kehrt das Stück zu dem vorhergehenden Zustand zurück – was aber nicht zwingend mit einer absteigenden Intensität in der Musik gleich zu setzen ist. Denn das Stück kann ebenfalls in einen intensiveren Zustand zurückkehren.

Grundsätzlich wurden die acht Software-Instrumente als ein elektronisches Orchester aufgefasst, wobei jedes Instrument besondere rhythmische, klangliche oder geräuschhafte Eigenschaften besitzt. Dabei ging es einerseits darum, die Stücke untereinander möglichst unterschiedlich klingen zu lassen und andererseits darum, die klanglichen Möglichkeiten, die aus der Kombination und den Funktionen der Instrumente gegeben sind, auszureizen.

Unabhängig von den Zufallsprozessen wurden zunächst Basiseinstellungen für jedes Stück festgelegt. Diese bestimmen den Grundklang, der für jedes Stück charakteristisch ist. Der Grundklang besitzt die Eigenschaft, der – die klangliche Dichte betreffend – intensivste Zustand innerhalb des Stückes zu sein. Alle weiteren Zustände eines Stückes sind abgeschwächte Varianten dessen. Sie sind Ableitungen vom Grundklang, in dem musikalische Elemente entfallen, wie zum Beispiel ein perkussives Element aus einem Rhythmus.

Im nächsten Schritt erhielt der Grundklang eine bestimmte Position innerhalb des Stückes. Die Position ist dadurch gekennzeichnet, wie viele Personen sich auf der Installation befinden. So wird der Grundklang beispielsweise nur zu hören sein, wenn der Sensor drei Personen zählt. Nun konnten um diesen Grundklang herum, dass heißt im Beispiel bei zwei und vier Personen, bestimmte musikalische Elemente entfernt werden. Es wurde sozusagen in zwei Richtungen arrangiert, wobei Elemente nicht nur entfallen, sondern auch neue hinzukommen können.

Mit jedem Durchlauf ist sowohl die Abfolge der sieben Stücke, als auch das Arrangement eines Stückes verschieden von den vorhergehenden. Kein Durchlauf ist im Detail reproduzierbar, da die Anzahl der Möglichkeiten durch die parallel ablaufenden Zufallsprozesse beachtlich steigt.